A r t i f i c i a l  a n i m a l i a

 

Meeresfauna, MKL, 6. Auflage, 1902-20

 

Thaumatrope setzt seine „artificial animalia“ nicht in natürliche Kontexte, sondern reflektiert mit flächenhaften Präsentationen die Ästhetik wissenschaftlicher Tafeln und Taxonomien des 17., 18. und  19. Jahrhunderts. Die Tafeln als kontextlose „Unorte“ versammeln Tiercollagen, die aus der Flächigkeit der Tableaux, wie aus der Ordnung der Taxonomien der Wissenschaft auszubrechen versuchen (Maritime Creatures I und II, Chambers of Science, Room Taxonomy). Darin liegt auch ein rebellisches Potential: sich Kategorisierungen zu entziehen, die Lebensfeindlichkeit von Ordnungen anzuprangern.

 

Hydra (Schautafel)

 

Als ästhetisches Konzept stehen dabei die Wunderkammer und das Kuriositätenkabinett der frühen Neuzeit Pate. In der frühen Wunderkammer, die noch die heterogensten Objekte, wie Schildkrötenpanzer, Instrumente, Münzen, Steine, Pflanzen, Schlangenhäute, ausgestopfte Tiere usw. beinhaltete (vgl. Ole Worm. Musei Wormiani Historia, 1655) und die gewissermaßen die mittlerweile eroberte und kolonialisierte Welt im Kleinen darstellte – man beachte die im Raum fast kugelförmig verteilten Objekte – lebt noch das Chaos des Unsystematisierten. Die Wunderkammer ist die Weltkugel als künstlicher Mikrokosmos, genauso rund, genauso chaotisch. Doch im Laufe der Geschichte nehmen die Systematisierungstendenzen in den Kabinetten zu. Schon im Jahr 1565 erscheint eine sammlungstheoretische Schrift von Samuel van Quiccheberg, der Anleitungen zur Systematisierung von Sammlungen gibt.  (Vgl. S. 35 Albertus Seba. Cabinet of Natural Curiosities. Taschen. Bibliotheca Universalis). Als Endpunkt dieser Entwicklung kann man die Taxonomisierung von Pflanzen des Schweden Carl von Linné in seinem Buch „Systema Naturae“ (1735) sehen.

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Portraits of Albertus Seba and Maria Sibylla Merian served as models for this work, staging the collector and the artist as surrounded by taxidermy, artefacts, collectibles, curiosities and works of art, presented in the sensual density and creative abundance of a cabinet of curiosities

 

Gürteltiere, Einhornhörner, Skulpturen, Malereien und andere Artefakte lagen ursprünglich unschuldig nebeneinander. Dann trennte sich in den Wunderkammern und Kuriositätenkabinetten das Artifizielle vom Natürlichen.

 

Infusorien (Schautafel)

 

Es "empfing der mittelalterliche Mensch vom Kunstwerk, das er betrachtete, nicht einen ästhetischen Eindruck, sondern entnahm ihm vielmehr das konkreteste Zeugnis der Grenzen seiner Welt“ (Giorgio Agamben, „Der Mensch ohne Inhalt“, Berlin 2012).

 

„Und dennoch werden das ausgestopfte Krokodil, das einst über der Kathedrale von Saint-Bertrand-de-Comminges hing, und jener Einhornfuß, den man in der Sakristei der Sainte Chapelle in Paris aufbewahrte, eines Tages den heiligen Raum der Kirche verlassen, um im cabinet des Sammlers Unterschlupf zu suchen.“ (Giorgio Agamben. Der Mensch ohne Inhalt. Berlin 2012).

 

Rotifera (old wall chart)

 

Es werden Sphären getrennt, Kategorien geschaffen, Einteilungen gemacht, Taxonomien entworfen, es wird versucht eine Ordnung in das Chaos der Welt einzuschreiben:

die Suche des Logos im Natürlichen

2022-04-18

 

Pinewood, Naturgeschichte des Pflanzenreichs, Leykam 1922

Die abgefallenen, harten und harzreichen Nadeln verwesen nur sehr langsam. Daher häufen sie sich nach und nach zu einer dicken Schicht an.  Diese modernden Nadelmassen bilden besonders für Pilze eine reiche Nahrungsquelle. Höheren Pflanzen dagegen sagt diese Nahrung nicht zu. Sie finden übrigens in dem Halbdunkel, das hier selbst am hellen Tage herrscht, auch nicht das nötige Licht. Infolgedessen ist der Kiefernwald arm an „Waldpflanzen“. Vor allem fehlt das Unterholz. Hiemit hängt wieder die Armut an Vögeln zusammen, die sich von Samen und Beeren nähren. Daher die große Stille im Kiefernwalde!“ (Schmeil-Scholz: Naturgeschichte des Pflanzenreiches. Graz: Leykam 1922)

 2022-10-01